Zur Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht bei Wahl zwischen offener Biopsie oder Stanzbiopsie

OLG Hamm, Urteil vom 09.01.2018 – 26 U 21/17

Wenn eine Exzision mittels einer offenen Biopsie zur Abklärung eines unklaren Herdbefundes in der Brust einer Patientin gegenüber einer ebenfalls in Betracht kommenden Stanzbiopsie die größere diagnostische Sicherheit bietet und zugleich als therapeutischer Eingriff in Betracht kommt, darf ein behandelnder Arzt hierzu anraten

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06. Juni 2017 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

1
Die am 00.00.1946 geborene Klägerin nimmt die Beklagten nach einer Operation eines Herdbefundes in der linken Brust auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

2
Am 19.05.2009 wurde der Klägerin im Hause der Beklagten zu 1) von der Beklagten zu 2) zur Abklärung eines unklaren Herdbefundes zu einer Exzision nach sonographischer Markierung geraten, die sodann am 28.05.2009 mittels offener Biopsie durchgeführt wurde, wobei ein Gewebeareal mit einem Gewicht von 35g entfernt wurde.

3
Nachdem sich bei einer erneuten ambulanten Vorstellung der Klägerin bei der Beklagten zu 2) am 14.06.2010 im Rahmen der Sonographie wiederum ein Herdbefund gezeigt hatte, begab sich die Klägerin am 22.06.2010 in die Behandlung des X Hospitals C, wo dieser Befund bestätigt und eine Kontrolle in 3 Monaten empfohlen wurde.

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Eine Stanzbiopsie vom 21.03.2011 im X-hospital C ergab bei 10 Uhr Anteile eines regressiv veränderten Papilloms, Klassifikation B3. Am 14.04.2011 wurden die Befunde nach sonographischer Drahtmarkierung exzediert. Im Anschluss kam es zu einer Entzündung und erheblichen Wundheilungsstörungen.

5
Die Klägerin hat den Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vorgeworfen. Statt einer offenen Biopsie hätte 2009 die Abklärung des sonographisch suspekten Befundes mittels Stanzbiopsie erfolgen müssen. Die Entfernung des Knotens wäre bereits bei dem Ersteingriff möglich gewesen. Der Verzicht auf eine Drahtmarkierung sei fehlerhaft gewesen. Die Aufklärung sei defizitär gewesen, da keine Aufklärung über die alternative Möglichkeit einer Abklärung mittels Stanzbiopsie erfolgt sei.

6
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 8.000,00 EUR sowie 114,00 EUR Schadensersatz und 1.101,94 EUR vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Die Klägerin habe den Beweis einer Schädigung durch fehlerhafte Behandlung nicht geführt. Die gewählte offene Biopsie sei medizinisch vertretbar gewesen und weitgehend fehlerfrei durchgeführt worden. Eine zusätzliche Drahtmarkierung sei nicht erforderlich gewesen. Soweit der kleine gutartige Befund operativ verfehlt worden sei, hätte die Ärzte der Beklagten zunächst davon ausgehen dürfen, das Papillom extirpiert zu haben. Die vom Sachverständigen festgestellten Fehler seien nur als geringgradig zu bewerten und hätten sich bei fehlender Malignität für die Klägerin nicht negativ ausgewirkt. Das Papillom hätte in jedem Falle in einer Zweitoperation entfernt werden müssen.

7
Die Haftung der Beklagten ergebe sich aber daraus, dass keine Aufklärung über die Möglichkeit einer Stanzbiopsie als echte Behandlungsalternative erfolgt sei. Zum damaligen Zeitpunkt hätte als alternative Methode eine ca. 50 %ige Chance bestanden, durch eine Stanzbiopsie den Herdbefund als gutartig einzustufen. Allerdings wäre angesichts der späteren Klassifikation B3 bereits im Jahr 2009 zwingend eine operative Entfernung geboten gewesen. Beide Alternativen zur Überprüfung des hier vorhandenen Herdbefundes seien als gleichermaßen indizierte und übliche Standardmethoden einzustufen. Den Nachweis einer hypothetischen Einwilligung hätten die Beklagten nicht erbracht. Der Klägerin sei es maßgeblich darum gegangen, eine Abklärung mit möglichst geringen Folgen für ihre voroperierte Brust zu erreichen.

8
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und Abweisung der Klage begehren. Ein Entscheidungskonflikt der Klägerin sei weder ersichtlich noch plausibel vorgetragen. Eine offene Biopsie wäre in jedem Falle zusätzlich zu einer Stanzbiopsie erforderlich gewesen. Die offene Biopsie stelle die sicherere Methode dar, so dass es zu einem Entscheidungskonflikt der Klägerin überhaupt nicht gekommen wäre. Auf die kosmetische Komponente sei es bei dem Verdacht auf ein Rezidiv des Mammakarzinoms nicht angekommen. Die Stanzbiopsie habe zudem aus ex ante Sicht wegen der Größe des Befundes keine gleichwertige Behandlungsalternative dargestellt. Überdies hätte die Stanzbiopsie die hier zwingend erforderliche offene Biopsie nicht vermieden, sondern hätte lediglich eine kumulative Möglichkeit dargestellt. Auf die Durchführung der Stanzbiopsie sei angesichts des Befundes unter 5 mm zur Sicherheit der Klägerin verzichtet worden. Die offene Biopsie habe auch zu keinerlei Beeinträchtigung der Klägerin geführt, insbesondere nicht zu der Wundheilungsstörung, so dass es auch an der erforderlichen Kausalität fehle. Der Klägerin wäre allenfalls die offene Biopsie im Hause der Beklagten erspart geblieben, nicht aber die erforderliche Papillom-Operation mit ihren negativen Folgen.

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Die Beklagten beantragen,

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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

11
Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

13
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Sachverständige habe die Stanzbiopsie als gleichwertige Behandlungsalternative dargestellt und einen Aufklärungsfehler bestätigt. Die Einwilligung zur offenen Biopsie sei nur erteilt worden, weil der Beklagte zu 2) erklärt habe, eine Stanzbiopsie sei nicht möglich. Dass die Stanzbiopsie – im Rahmen der ex post Betrachtung – das Vorliegen eines excisionswürdigen Befundes erbracht hätte, stelle ihre Gleichwertigkeit als alternative Behandlungsmethode zur Abklärung eines unklaren Herdbefundes nicht in Frage. Es sei gerade Teil des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, sich bei bestehenden Behandlungsalternativen für diejenige zu entscheiden, die weniger belastend sei und dabei das Risiko einzugehen, sich im Falle eines positiven Befundes doch noch einem weiterem, invasiveren Eingriff unterziehen zu müssen. Die rechtswidrig durchgeführte offene Biopsie sei auch ursächlich für die eingetretene Ölzyste und die zusätzliche Gewebeentfernung im Vergleich zu nur einem operativen Eingriff gewesen. Es sei nicht nachgewiesen, dass die erste offene Biopsie durch einen anderen Arzt in jedem Fall misslungen wäre und einen Zweiteingriff erforderlich gemacht hätte. Die Beklagten hätten danach für die Folgen der Komplikationen des Zweiteingriffs einzustehen.

14
Der Senat hat die Klägerin und die Beklagte zu 2) persönlich angehört. Ferner hat der Sachverständige Prof. Dr. G sein Gutachten mündlich erläutert und ergänzt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.01.2018 sowie den Berichterstattervermerk vom gleichen Tag verwiesen.

15
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

16
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

17
Auf die Berufung war das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen. Der Klägerin steht gegen die Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schmerzensgeldzahlung und Schadensersatz gemäß §§ 611, 278, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB sowie gemäß §§ 823 Abs. 1, 831, 249, 253 Abs. 2 BGB zu.

18
Der Senat stützt sich dabei aus den nachfolgenden Gründen auf die erstinstanzliche Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständige Prof. Dr. G sowie dessen umfassende Ausführungen bei seiner Anhörung vor dem Senat. Der Sachverständige hat sich bereits erstinstanzlich dezidiert mit den vorhandenen Krankenunterlagen und dem zu begutachtenden Sachverhalt auseinandergesetzt. Er hat auch im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat seine Feststellungen und fachlichen Beurteilungen unter Berücksichtigung sämtlicher Befunde überzeugend vertreten.

19
Im Streitfall ergibt sich eine Haftung der Beklagten für sämtliche Folgen der offenen Biopsie vom 28.05.2009 entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht daraus, dass der Eingriff mangels wirksamer Einwilligung der Klägerin insgesamt rechtswidrig gewesen ist. Der Senat vermochte nach der ergänzenden Beweisaufnahme keine Aufklärungspflichtverletzung festzustellen.

20
1. Nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils, welche die Klägerin in der Berufung nicht angreift, ist den Beklagten zunächst kein schadensursächlicher Behandlungsfehler im Rahmen der offenen Biopsie vom 28.05.2009 oder der Nachsorge vorzuwerfen.

21
Die gewählte offene Biopsie war nach Angabe des Sachverständigen bei der Größe des Tastbefundes medizinisch vertretbar. Der Sachverständige hat im Senatstermin nochmals klargestellt, dass selbst in einem Klinikum der Maximalversorgung und einem zertifizierten Brustzentrum bei einem derartig kleinen Befund und einer voroperierten Brust auch ein erfahrener Behandler von einer Stanzbiopsie absehen und allein zu einer offenen Biopsie raten durfte. Die offene Biopsie gibt bei einem derartigen Befund unabhängig von Ultraschall und der Erfahrung des Behandlers die größere diagnostische Sicherheit.

22
Eine zusätzliche Drahtmarkierung hätte die Wahrscheinlichkeit der Entfernung des gutartigen Befundes bereits am 28.05.2009 allenfalls unwesentlich erhöht und war aus ex ante Sicht nicht erforderlich. Soweit der kleine gutartige Befund operativ verfehlt worden ist, liegt kein Fehler vor, da dies auch bei größtmöglicher Sorgfalt in bis zu 5 % aller Fälle vorkommt. Zudem durften die Ärzte der Beklagten zunächst davon ausgehen, das Papillom extirpiert zu haben.

23
Die vom Sachverständigen sodann festgestellten Fehler (Verzicht auf Markierung des Exzidats in drei Ebenen sowie Einschneiden des entnommenen Gewebestücks) sind von diesem als nur als einfache Behandlungsfehler bewertet worden und haben sich bei fehlender Malignität auf den Zustand der Klägerin und den weiteren Behandlungsverlauf in keiner Weise negativ ausgewirkt. Das Papillom hätte in jedem Falle in einer Zweitoperation entfernt werden müssen.

24
2. Mit Erfolg wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, soweit das Landgericht von einer unzureichenden Aufklärung der Klägerin über die bestehende Behandlungsalternative einer Stanzbiopsie ausgegangen ist.

25
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Klägerin seitens der Beklagten zu 2) allein zur Vornahme einer offenen Biopsie geraten worden ist.

26
a) Das Landgericht hat zunächst gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G in der Stanzbiopsie zutreffend eine echte Behandlungsalternative zu der im Streitfall gewählten offenen Biopsie gesehen, weil die beiden Alternativen zur Überprüfung des hier vorhandenen Herdbefundes (ca. 6 mm großer Tastbefund) als gleichermaßen indizierte und übliche Standardmethoden einzuordnen sind, welche mit wesentlich unterschiedlichen Belastungen und Erfolgschancen einhergehen.

27
Die Stanzbiopsie lässt sich nach Angabe des Sachverständigen ohne Operation in wenigen Minuten unter Lokalanästhesie durchführen. Angesichts der Größe des Befundes (gerade einmal 6 mm) und der vielen Voroperation im Bereich der Brust der Klägerin wäre eine Stanzbiopsie vorliegend aber hochaufwendig und schwierig gewesen; dazu hätte es eines hochspezialisierten Behandlers bedurft. Demgegenüber bestehen bei der offenen Biopsie bei einem derartig kleinen Befund deutliche geringere Risiken, den Tastbefund zu verfehlen, als bei der Stanzbiopsie. Sie bietet die größere diagnostische Sicherheit und ist überdies im Idealfall anders als die rein diagnostische Stanzbiopsie auch gleich die Therapie. Dafür birgt die offene Biopsie alle Risiken eines invasiven Eingriffs.

28
Der Sachverständige hat im Senatstermin nochmals bestätigt, dass man sich bei einem Befund dieser Größe im Grenzbereich der Medizin bewegt, bei der die Frage nach der Auswahl der Methode allein in das Ermessen des Arztes gestellt ist, weshalb der Rat zur offenen Biopsie nicht zu beanstanden ist. Gleichwohl hat er daran festgehalten, dass man hier statt der offenen Biopsie ohne weiteres auch eine Stanzbiopsie hätte machen können. Allerdings hätte die Stanzbiopsie angesichts des später festgestellten Papilloms mit der Klassifikation B-3 der Klägerin die sodann medizinisch zwingend erforderliche offene Biopsie nicht erspart.

29
b) Der Senat ist nach persönlicher Anhörung der Klägerin und der Beklagten zu 2) davon überzeugt, dass der Klägerin die Möglichkeit einer Stanzbiopsie bewusst gewesen ist, und dass sie gleichwohl im Wissen um die Alternative dem ärztlichen Rat der Beklagten zu 2) zur Vornahme einer offenen Biopsie gefolgt ist.

30
Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung selbst dargelegt, dass ihr der Radiologe nach dem Ultraschall ausdrücklich zur Stanzbiopsie geraten hat. Er hat ihr eigenen Angaben nach erklärt, dass man dies heute zur Abklärung mache, ob ein bösartiger Befund vorliegt. Nachdem ihr dann die Beklagte zu 2) – was von dieser im Senatstermin bestätigt worden ist – unter Hinweis auf den kleinen Herdbefund zur Vornahme einer offenen Biopsie geraten hat, ist sie diesem ärztlichen Rat gefolgt. Grund hierfür ist gewesen, dass sie Vertrauen in die Klinik und in das Brustzentrum hatte und davon ausgegangen ist, dass der Rat der Beklagten zu 2) zutreffend ist.

31
Soweit die Klägerin dargelegt hat, dass sie eigentlich wegen der vielen Voroperationen wollte, dass der Befund gestanzt wird, zeigt dies, dass ihr die Alternative zur offenen Biopsie bekannt gewesen ist. Entsprechend hat sie angeben, dass angesichts des eindeutigen Rats der Beklagten zu 2) die einzige Alternative dann ja „auf Wiedersehen“ gewesen wäre. Die Klägerin wusste damit von der Möglichkeit der Stanzbiopsie. Sie ist gleichwohl dem medizinisch nicht zu beanstandenden Rat der Beklagten zu 2) zur offenen Stanzbiopsie gefolgt.

III.

32
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

33
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

34
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

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